Philosophie

Walter Seitter | Wien
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Im Café Dehmel in Wien
© S.K.B.

Hardware, Software und so weiter
Kleines Programm zu einer „Physik von allem“

Liebe Silvia Breitwieser,
wie Sie sehen, habe ich den Titel Ihren Stichworten entnommen
...
Mit herzlichen Grüßen, auch von Stella,
Walter Seitter

Denkt man an „Physik“, so hat man zunächst wohl eher „harte“ Sachen vor Augen. Festkörper, die sich hart im Raume stoßen - seien es etwa Billardkugeln oder die großen Himmelskörper im Weltall. Aber von denen hat man auch schon gehört, daß es mit ihrer Festigkeit nicht immer zum Besten steht: häufig soll es sich um „bloße“ Gasballungen handeln, die dafür aber sehr heiß sind. Nein, es besteht kein Grund, die Physik nur auf die Festkörper einzuschränken. Erinnern wir uns an die antike Elementenlehre, so sehen wir, daß von den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer nur die Erde Festkörper enthält, und nicht einmal sie enthält nur harte Ware. Aber sie liefert in Form der Mineralien, zu denen auch die Metalle gehören, die Grundstoffe für das Harte. Sobald sie sich mit Luft mischt, ergibt das den Sand, der sehr weich und sogar flugfähig sein kann. Vermischungen bzw. Verwandlungen unter Einschluß von Wasser ergeben pflanzliche oder animalische Lebewesen, somit auch den Menschenkörper.

Von dem aber wissen wir recht gut, daß er aus Hartteilen und aus Weichteilen besteht. Das Harte des Menschenkörpers wird von seinen Architekturelementen geliefert, die wir „Knochen“ nennen: steinartige Gebilde, die denn auch aus einem offiziellen „Mineral“ bestehen, nämlich aus dem Kalk. Aus Kalk bestehen auch die architektonischen Dispositive ganz anderer Tiere, der Muscheln und Schnecken. Und aus denen sollen angeblich ganze Gebirge, wie etwa die Nördlichen Kalkalpen, zu denen auch der Untersberg bei Salzburg gehört, bestehen. Kalk ist ein besonders gut „lösliches“ Mineral, nicht nur im Wasser, sondern auch in Lebewesen, in die er „eingeht“. Insofern ist er nicht nur hart, sondern auch „weich“.

Aus der Geschichte des Wissens um das Harte und Weiche nenne ich zwei Autoren. Erstens Platon, der in seinem bislang gänzlich unbekannten „Fingergleichnis“ die Methode angibt, wie man das Erkenntnisziel, das im Sonnengleichnis, im Liniengleichnis und im Höhlengeichnis doch sehr abstrakt vorgestellt worden war, bei jedem Menschen in einer konkreten Erkenntnisübung erreichbar machen kann: indem man ihm zeigt, daß er an jedem seiner Finger nicht nur härtere und weichere Stellen spüren kann: er kann sogar spüren, daß jede Stelle zugleich weich und hart ist, und dieses eigentlich Unmögliche kann seinen Verstand zu allerhöchster Tätigkeit herausfordern und aufreizen (Politeia VII, 523ff.). Zweitens Fritz Heider, der im Nachklang zur Elementen- lehre davon spricht, daß alle Stoffe entweder eine feste odereine lose Koppelung aufweisen; die mit der losen Koppelung nennen wir „weich“, „flüssig“, „gasförmig“, „wellenförmig“ und soweiter. Und diese Stoffe sind, wie er sagt, besonders gut alsMedienmaterialien geeignet, weil sie Eindrücke von harten Körpern aufnehmen können (Fritz Heider: Ding und Medium).

Die Physik, von der ich spreche, hat zwar ihren Namen von der„Physis“, also von der Natur, aber sie interessiert sich auchfür artifizielle Dinge, sofern sie materiell und in diesem Sinn„physisch“ sind. Als Beispiel nenne ich ein Gerät, das mir vomMenschenkörper eingegeben worden ist, weil es ungefähr genau sogroß ist wie er - da es ihn jeden Nacht in seiner ganzen Längeaufnehmen muß. Ich meine damit das Bett, und das interessiert hier gerade deswegen, weil es mit dem Menschenkörper auch dieZusammengesetztheit aus harten und weichen Teilen gemeinsam hat.
Beim Menschen sind die harten Teile, also das Knochengerüst, hauptsächlich im Inneren versteckt und von Weichteilen umgeben(eine gewisse Ausnahme bildet der Schädel). Beim Bett bilden dieHartteile, das untere und manchmal auch das marginale Gestell.
Darin bzw. darauf liegen dann die zunächst halbweichen und danndie sehr weichen Teile, die dazu da sind, den Menschenkörperweich zu betten und zu decken. Hartware und Weichware wirken also im Bett so zusammen, daß sie einem ähnlich komponiertenaber doch ganz andersartigen Körper einen festen und gleichzeitig flexiblen Aufenthalt gewähren können.

Die Zusammensetzung aus Hardware und Software bzw. diese beidenenglischen Wörter kennen wir vom Computer. Bei dem hat „Software“ nicht eigentlich die Bedeutung von „weich“. Der Computer bedarf zwar zu seinem Funktionieren auch eines Faktors, dem Weichheit in extremem Ausmaß zukommen muß, nämlich „Flüssigkeit“ undnoch dazu die Kraft zum Fließen, Bewegen, Wirken. Aber nicht denelektrischen Strom nennt man „Software“ - sondern das „Programm“ und alles, was dazu gehört, d. h. materielle Kanalisierungen, die dem Strom die Wege seines Fließens und Wirkens vorgeben. In der Medienphysik von Fritz Heider fallen auch Programme bzw. alle Zeichengebungen unter „lose gekoppelte“ Phänomene, da sieauf der Existenz und flexiblen Kombinierbarkeit von wohlunterschiedenen Elementen beruhen, die so etwas wie eine künstlicheAtomistik darstellen. Also sind auch Schrift und Text und Bild sowie so flüchtige Erscheinungen wie Sprache und Musik Gegenstände der Physik, und zwar ein und derselben Physik. Die eine Physik ist die Physik von allem.

 

Biografie Walter Seitter, 1941 in St. Johann in Engstetten geboren. Nach Studien in Salzburg, München und Paris lehrte ich Politikwissenschaft, Philosophie und Ästhetik in Aachen und Wien.

Schriften Von meinen Buchveröffentlichungen nenne ich folgende: Piero della Francesca. Parallele Farben (Berlin 1992); Hans von Marées. Ein anderer Philosoph (Graz 1993); Helmut Newton. Körperanalysen (Wien 1993); Physik des Daseins. Bausteine zu einer Philosophie der Erscheinungen (Wien 1997); Geschichte der Nacht (Bodenheim-Berlin 1999); Kunst der Wacht. Träumen und andere Wachen(Berlin-Wien 2001); Physik der Medien. Materialien, Apparate, Präsentierungen (Weimar 2002); Multiple Existenzen: El Greco, Kaiserin Elisabeth, Pierre Klossowski (Wien 2003); H. Ebner und W. Seitter (Hg.): Pierre Klossowski: Unter dem Diktat des Bildes... Ein Gespräch mit Rémy Zaugg. Nachwort von Horst Ebner und Walter Seitter (Wien 2008); Poetik lesen 1 (Berlin 2010); Francis Ponge, Der Tisch. Mit einem Essay von Walter Seitter: Poetische Physik (Köln 2010).

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